SCHÖNE NEUE WELT
Die formativen Tage des prägenden Labels ZTT
Es war die Zeit der großen Umstürze, der Theorien, des anything goes. Und wie so viele andere hatte auch Paul Morley einen Traum: Zuvor hatte der junge Autor dazu beigetragen, die Art, wie über Pop geschrieben wurde, zu radikalisieren. Dann wagte er sich an ein weitaus ambitionierteres Projekt: Gemeinsam mit Trevor Horn inszenierte Morley das Plattenlabel ZTT als futuristischen Dada-Art-Pop-Traum, in dem die Künstler als quasi-fremdbestimmte Schachfiguren eingesetzt wurden. Bevor ZTT in einer Wolke aus Prozessen, wirtschaftlichen Verfehlungen und Anfeindungen implodierte, gelang so nicht weniger als die Weichenstellung für den Internet-Pop-Eskapismus heutiger Prägung. Exklusiv für SPEX erinnert sich Morley an die formativen Tage.
Ich hatte einen Plan, als ich 1983 —
Die Futuristen, die den sublimen, subversiven Nonsens des Dadaismus ebenso vorwegnahmen wie seine analytische Präzision, propagierten die Theorie, dass die neue, von Maschinen geprägte Welt —
Ich borgte/klaute/plagiierte den Namen ohne Genehmigung (wen hätte ich auch fragen sollen?), weil ich den Klang mochte —
Als Rockkritiker und Medientheoretiker, der von Lester Bangs ebenso beeinflusst war wie von Walter Benjamin, schwebte mir ein Label vor, das eine Mischung aus Punk und Showbusiness sein sollte —
Das war der Plan, das war der Traum: Man nehme von Island oder ECM das Modell einer fest umrissenen musikalischen Identität —
Wie es sich für eine Kunstbewegung des 20. Jahrhunderts gehörte, waren die ersten Veröffentlichungen maßlos anmaßende Manifeste, deren plakative Slogans die strategische Ausrichtung des Projektes umreißen sollten. In unserem Strategiepapier hieß es unter anderem, dass wir ein »radiant obstacle in the path of the obvious« sein wollten, der Sand im Getriebe des Normativen. An anderer Stelle des Manifestes hieß es, dass Musik und Vision von Zang Tuum Tumb dezidiert europäisch sein sollten —
Der Name und das Image, ja sogar die geografische Herkunft unserer Bands waren dabei nicht minder wichtig als die Musik. Schließlich kümmerte sich um Letztere schon der genialste Produzent der damaligen Zeit —
Unsere drei ersten Signings waren Frankie Goes To Hollywood aus Liverpool (die allerdings nicht die Beatles, sondern eher die Rolling Stones von ZTT werden sollten), Propaganda aus Düsseldorf (der Heimat von Kraftwerk, ein Hinweis auf die künftige Inspirationsquelle) und Art Of Noise, unsere Haus-Band, das anonyme Synthesizer-Orchester von Trevor Horn, der fleischgewordene Arm der Label-Philosophie. Art Of Noise schienen nirgends zu Hause zu sein und waren doch überall: Aus allen nur erdenklichen Quellen der Pop-Geschichte fischten sie Rhythmen, Sounds und Stile, um die Fundstücke durch den Computer zu jagen und so zu verfremden, dass jegliche Bedeutung aus ihrem liebgewonnenen Zusammenhang gerisSen wurde. Continue »
Die Bands wurden entweder unter Vertrag genommen oder ans Reißbrett entworfen. Und was 1983 noch ein Konzept und Trevor-Horn-Projekt war, hatte 1985 bereits seinen Platz in der Pop-Geschichte. Und genau das war der Plan, das war der Traum: Frankie als marktschreierische Pop-Sensationalisten eine chaotische, zusammengewürfelte Truppe, die Kontroversen anzettelte und spekta-kuläre, Horn-designte Pop:Epen veröf-fentlichte; Propaganda als diskrete Avant-chic-Elektropop-Stars, die eine neue Form von musikalischer Synchronisation entwickeln sollten, uns so vielleicht der statischen Düsseldorf-Dynamik einen Schuss Drama zu verpassen; schließlich Art Of Noise als kryptisches, maskiertes, nicht-existentes Pop-Quartett, das sich jeder Klassifizierung entzog und eine wüste Montage-Musik machte, die Musique Concrete, Minimalismus und Popsong radikal remixte —
Bereits 1985 spielten allerdings alle drei Gruppen seit dem Gedanken, das Label zu verlassen und woanders zu arbeiten, um dort —
Statt den konzeptionellen Ansatz eines modernen Labels weiter vertiefen zu können, statt die futuristischen Prinzipien und die ideologische Inbrunst weiter voranzutreiben, war ich plötzlich Teil einer Firma, die von ihren wichtigsten Acts verklagt wurde. Sie behaupteten, finanziell ausgenutzt worden zu sein, sie beklagten das fehlende Mitspracherecht bei Sound, Verpackung und Marketing —
Ich war dazu übergegangen, das Artwork der Platten nicht mehr mit den Gruppen abzustimmen. Wenn ich zum Beispiel Propaganda gesagt hätte, dass ich auf ihrem Cover J. G. Ballard und Goethe zitieren wollte, hätten sie gefragt, was das mit ihrer Musik zu tun habe. Meine —
Bis zu einem gewissen Punkt waren die Argumente der Bands nachvollziehbar: Während ich meinen Traum eines utopischen Labels träumte, mussten die Musiker mit Knebelverträgen leben, die ihnen miese Konditionen boten und die Möglichkeit nahmen, über ihr eigenes Image zu bestimmen. Teil meines Traumes war es nun mal, Artwork und Design so auszurichten, dass, sie sich an den Intentionen des Labels orientierten. Und der Sound auf diesen Platten —
Im Falle von Frankie und Propaganda wurde sogar ein Großteil der Arbeit gemacht, ohne dass die Band überhaupt anwesend war —
Der Zang-Tuum-Tumb-Sound beeinflusste 1984 nicht zuletzt auch Quincy Jones und seine Arbeit für Michael Jackson. Jacksons Musik aus der Bad-Ära hatte frappierende Ähnlichkeiten mit den Aufnahmen von Propaganda —
Da ich für das Traum-Department des Labels zuständig war, hatte ich keine Ahnung, wie die wirtschaftliche Seite funktionierte —
wurde, hätte damals jedenfalls auch gereicht, um einen professionellen Kinofilm zu finanzieren.) Und trotzdem glaube ich, dass der Preis gerechtfertigt war, um diese waidwunde, filmische Schönheit und Intelligenz auf Band zu bannen, diesen einmaligen, düsteren Post-Punk-Luxus —
Ich war nur an dem Teil interessiert, der jenseits der Vernunft lag, aber es waren letztlich diese Realitäten, die das Label in die Knie zwangen —
Die letzten Veröffentlichungen aus der frühen Inkarnation des Labels waren 1985 Slave To The Rhythm von Grace Jones (Horn und seine Maschinen an den surrealen Grenzen von Genie und Wahnsinn) und ein Jahr später Snobbery And Decay von Act (die in meinen Augen die eigentlichen Propaganda 2.0 waren, während sich die Gruppe, die dann zu Virgin wechselte, de facto auflöste —