Frankie Goes To Hollywood das schwulitäten-spielchen
Dionysisch! Orgiastisch! Das muß doch jedar sehen, wie obzön das ist! Frankie war aufgesogen worden in den Strudel dieses wahrhaft römisch-babylonisch decadent-manierierten Nachtclubs, treibt auf dieser vibrierenden. Atmenden Woge menschlicher Leiber, auf einer Masse Sexbessener —
„Nein!” entscheidet der Entscheidungsbefugte. Den Entscheidungsbefugten mag man sich als einen rotgesichtigen, untersetzten Mann in mittleren Jahren vorstellen; ein Programmdirektor der BBC, der kraft seines Amtes den Daumen senkte: Nein! Unmöglich! Das bringen wir nicht! Eine Band mit fünf Schwulen! … nun, es ließe sich ja noch ertragen, wenn es sich um ein gepflegtes coming out handeln würde —
…prima!
Genau das ist es doch. Holly Johnson nimmt noch einen Schluck Kaffee, lehnt sich dann bequem auf seinem Stuhl zurück und lächchelt, ein Bild verschmitzter Unschuld. Dann sagt er, ganz leise und sehr treuherzig: „Dabei sind wir doch überhaupt nicht obszön. Wir möchten die Leute unterhalten; nicht sie anwidern.
Hervorragend, Holly; das war eine perfekte 180-Grad-Drehung.
Ungerechtigkeit!
Damit hast du sie alle auf deiner Seite. Holly Johnson hatte ziemlich lange auf diesen Erfolg im Pop-Geschäft warten müssen. Schon vor Jahren war er Sänger in einer Liverpooler Punk-Band gewesen; das Singen machte ihm Spaß, die ganze Punk-Geschichte machte ihm auch Spaß —
In einer Gefängniszelle. Holly liebte es, diese schillernde Kleinigkeit besonders zu erwähnen; die Tatsache, daß diese Band nicht irgendeinem normalen, popeligen Übungskeller entsprang, sondern … in einer Zelle probte, in der man früher leidende, brutal geknechtete Sklaven gefangengehalten hat, die von hier aus nach Amerika verschifft wurden —
…Probeaufnahmen!”
Holly lacht. Er hält das für einen ganz besonders gelungenen Scherz. Holly liebt Hollywood. Das klassische Hollywood, natürlich; den Glamour, die Musicals, den visuellen Reichtum, die ganzen Klischees yon Liebe, Erfolg und harter Arbeit und Es-Schaffen. Vor allem liebt er Busby Berkeley. Berkeley war ein Regisseur, der in den 30er Jahren mit seinen sogenannten „Hinterhof-Musicals” großen Erfolg hatte. Das Publikum sah eigentlich immer dieselbe Geschichte: Ein begabter, aber kleingeratener und belächelter Junge (immer gespielt von Mickey Rooney) komponiert ein Musical, stellt mit seinen Freunden in irgendeinem Hinterhof eine Show auf die Beine und sackt nach diversen Verwicklungen und Schwierigkeiten mit den bösen Erwachsenen Geld, Ruhm sowie die hübsche Hauptdarstellerin (das war immer Judy Garland) ein. Berkeley machte gleich eine ganze Reihe dieser Filme; und er war in der Lage, mit verhältnismäßig geringem Budget und ultrakurzen Drehzeiten noch wunderbare Bilder zu inszenieren, eine tolle Show auf die Beine zu stellen. Nach einer Weile hatten dann aile drei, Berkeley, Rooney und Garland, die Hinterhöfe sowohl filmisch als auch sonst, hinter sich gelassen.
„Klischees sind kondensierte Wahrheiten”, schloß Holly, und außerdem: „Man muß sein Publikum unterhalten —
Mehr Tricks
Frankie Goes To Hollywood begannen, sich für ihre Live-Auftritte etwas auszudenken. Sie suchten sich die „verruchte Masche” aus und brachten Go-Go-Girls mit auf die Bühne, die „Leatherpettes”, ausgestattet mit Strapsgürteln und Handschellen und ledernen Büstenhaltern. Es gab auch ein Mädchen, das genüßlich mit einer großen Schlange spielte. Transvestiten traten auf. Die Band selbst wählte für jeden Auftritt eine andere Böse-Buben-Film-Sadisten-Rolle wie die der „Baddies”, der gewalttätigen Gang aus „Mad Max II“. Reichlich abgeschmacktes, altbekanntes Zeug also im Grunde; aber es funktionierte. Die Leute mochten das.
Die Band machte einen kleinen Film von der Urversion ihres „Relax” Titels, den sie in „The Stake“, einem alt-modernen, im Art-Deco-und Laser-Stil gehaltenen Ballsaal in Liverpool drehten. „The Tube“, jene ambitionierte Popmusik-Sendung des privaten britischen „Channel 4“ —
Angeblich saß da nämlich gerade ein Bursche namens Trevor Horn am Fernseher, urn sich die Sendung anzusehen. Jener Trevor Horn nämlich, der die Musik von den Buggles, Yes, ABC und Malcolm McLaren so unglaublich erfolgreich produziert hat und der mittlerweile, zusammen mit dem Pop-Vordenker und Ex-New Musical Express —
Mehr Skandal, bitteschön!
Continue »Der umtriebige Morley und die Band taten alles, urn der Öffentlichkeit das Image „aggressiv-sexbesessenlüsterne Schwule” zentimeterdick auf’s Butterbrot zu schmieren (wobei aus dem Umkreis des Zang Tuum Tumb —
Endlich verliert irgendein Bursche bei der BBC dann die Nerven: Kein Radio und kein Fernsehen mehr für „Relax”! Das ist das erwartete Signal. Paul Morley sorgt dafür, daß im New Musical Express und auch in Tageszeitungen wie dem Daily Express ganzseitig Anzeigen erscheinen: Über die eigentliche Werbung für „Relax” ist ein fetter schwarzer Balken gelegt: „They’ve banned us!” „Sie” (die Bösen) geben „uns” keine Chance! Das zieht: Leute, die ses Stück kriegt ihr nicht im Radio zu hören! Diese Platte müßt ihr kaufen.
Jetzt, zwei Wochen später, ist „Relax” auf Platz Eins der Hitparade. Noch ein paar Wochen und es werden über eine halbe Million Singles verkauft worden sein —
Genau mit diesem Bewußtsein sitzt er jetzt da, lächend und kaffeetrinkend —
Es ist elektrisierend. Dieser Mann weiß einfach immer, was er jetzt am besten sagen sollte. Vergoldete Gitterstäbe! Hat man schon mal von einem Musiker gehört, der sich schon nach seinem allerersten Erfolg in einem goldenen Käfig eingesperrt fühlt? Der sich so etwas mit dieser unnachahmlichen sanft-schnurrenden Überzeugung zu sagen traut? Das Klischee als kondensierte Wahrheit —
von Dirk Scheuring
Fotos: Wolfgang Wesener